Mensch & Maschine

Gaming-TV? Na klar!

Wer will schon anderen am Bildschirm beim Computerspielen zuschauen? Das fragte ich mich, als ich 2007 erstmals hautnah auf dieses Phänomen stiess. Das war an den World Cyber Games in ­Seattle, wo sich die besten E-Sportler der Welt ­trafen und sich in verschiedenen «Disziplinen», also Games, ­miteinander massen. Für mich war klar: Nur diese Hardcore-Fans finden es spannend, in der Halle auf Riesenmonitoren die virtuellen Wettkämpfe mitzu­verfolgen. Schon damals wurden die Spiele weltweit auch ins Internet übertragen – für mich unvorstellbar, so was daheim am PC zu konsumieren.

Diese Woche nun hat Amazon überraschend die ­Gaming-Plattform Twitch gekauft. Der Versandriese liess sich die unbekannte Plattform fast eine Milliarde Dollar kosten lassen. Wie kann das sein?

Auf Twitch können Computerspieler mit der Gratis-Software Open Broadcaster kinderleicht ihr Spiel ­streamen und live kommentieren, derzeit tut das 1 Million der 55 Millionen aktiven Nutzer. Das Publikum schaut online zu und diskutiert mit. 58 Prozent sollen 20 und mehr Stunden pro Woche auf dem Kanal verbringen. Zur Primetime sind es 540 000 Zuschauer, mehr etwa als der Musiksender MTV hat. Die Übertragung der Weltmeisterschaft im Spiel «League of Legends» verfolgten weltweit 32 Millionen Menschen. Gamer, die mehr als 500 regelmässige Besucher zählen, können mit ihrer Lieblingstätigkeit wie bei Youtube etwas Geld verdienen. Spielepub­lisher wie Sony nutzen den Kanal mittlerweile, um mit ihren Kunden direkt zu interagieren, zeigen dort neue Titel oder streamen Pressekonferenzen.

Menschen wollen also durchaus anderen beim ­Gaming zusehen. Bedenkt man es recht, leuchtet das ein. Was ist es anderes, als ein Fussballspiel zu schauen? Oder einen Tennismatch, ein Schachspiel? Lieben wir es nicht einfach, Könner bei der Ausübung ihrer Kunst zu beobachten? Spielen wir selbst Schach oder Tennis, fesselt es uns umso mehr, wenn es die Besten tun, weil wir vergleichen und vielleicht auch lernen können. Dass es sich beim Gaming um virtuelle Kämpfe handelt, tut der Faszination keinen Abbruch. Schliesslich ist das ­Klicken und Auf-die-Tasten-Hämmern so real wie auf zwei Brettern den Berg hinunter fahren (wenn auch weniger gefährlich).

Sollte es Ihnen also entgangen sein – Jeff Bezos hat es gemerkt: Computerspiele sind endgültig aus der Nische getreten und zum breiten Volkssport geworden. Noch leidet er an «Überjüngung», aber das ist nur eine Frage der Zeit. 

Simone Luchetta