SonntagsZeitung, 14.02.2010

Smartphone auf vier Rädern

Trickfilme und Onlinegames kommen mit dem neuen mobilen Internet direkt auf den Bildschirm im Fahrzeug

Wie waren uns früher lange Autofahrten doch verhasst! Gegen die Langeweile haben wir als Kinder gesungen oder Autos gezählt. Heute ist Autofahren ein liebgewonnenes Spektakel geworden. Jeder Sprössling auf der Rückbank der Familienkutsche schaut auf seinem portablen DVD-Spieler Filme, hört mit dem iPod digitale Kasperliplatten oder zockt mit dem Gameboy. Vorne freut sich Papi über sein neues Navigationsgerät, während Mama auf dem iPhone Sudokus löst.

Von diesem Schauplatz ist es gar nicht mehr weit bis zum visionären LTE Connected Car, dem Auto mit mobilem, superschnellem Breitbandinternet. Es wird sich mit Rechnern in der «Wolke», also im Internet verbinden, Schlaglöcher voraussagen können, personalisiertes Radiohören möglich machen, Online-Gaming und Video-on-Demand erlauben. Ein von der Netzwerkfirma Alcatel Lucent gegründetes Konsortium von Technologie-Firmen namens NG Connect hat kürzlich in Paris so ein Konzeptfahrzeug präsentiert.

Auto wird zum elektronischen Gerät wie der Bürocomputer

Es basiert auf einem 2010 Toyota Prius und besitzt vier berührungssensitive 9-Zoll-Bildschirme, zwei vorne im Armaturenbrett und zwei in den Nackenstützen der Vordersitze. Dazu kommt eine App-Plattform, wie wir sie von Smartphones kennen, und eine superschnelle LTE-Internetverbindung, die den heutigen Mobilfunkstandard UMTS in Sachen Geschwindigkeit alt aussehen lässt. Erste Tests mit Long Term Evolution (LTE) will hierzulande Swisscom im April starten (siehe Kasten).

Das alles macht das Auto zu einem drahtlosen Internetzugangspunkt, über den man Videos streamen, Hörspiele oder Musik vom heimischen Rechner herunterladen und ortsabhängige Dienste nutzen kann. Das Auto, bisher einfach ein Transportmittel, erfährt damit eine Erweiterung, wird ein Teil der Geräte und Dienste, die wir im Büro und daheim brauchen. Die Kosten für Technologie und Einbau in ein Fahrzeug werden anfangs bei 3000 und 4500 Franken liegen. «In zwei bis drei Jahren könnte ein solches Fahrzeug auf dem Markt kommen, abhängig davon, wie schnell LTE-Netzwerke verfügbar sind und wie gross das Interesse der Autobauer ist», sagt Stefan Weidmann, Leiter Lösungs-Verkauf Alcatel-Lucent in Zürich.

Aber brauchen wir ein Auto, das mit der «Wolke» spricht, um unsere Kids zu unterhalten? Das ist kaum die Frage. Entscheidend wird vielmehr sein, ob wir bereit sind, für dieses mobile LTE-Gadget zu zahlen. Bedenkt man, dass die Deutschen laut ADAC im Schnitt zwei Jahre ihres Lebens im Auto verbringen und die Amerikaner noch länger hinter dem Steuer sitzen, liegt die Antwort nahe. Bereits heute rüsten viele Familien ihren Schlitten multimedial auf, während das Bedürfnis wächst, immer online zu sein. «Die Leute wollen mobiles Internet, das sehen wir an der Zunahme von Smartphones. Diese werden in Autos benutzt. Deshalb ist es wichtig, diese Geräte und Dienste ins Auto zu integrieren, um die Ablenkung zu verringern», sagt Egil Juliussen, Automobil-Analyst beim Marktforscher iSuppli. Bis ins Jahr 2016 sollen laut iSuppli weltweit 64 Millionen Autos Zugang zu Webinhalten haben, 970 000 waren es Ende 2009.

Während der Fahrt wird der Lenkermonitor blockiert

Es sind hauptsächlich Wagen der Luxusklasse, die schon Internetzugang haben: BMW, in den USA Ford und Chevrolet. Die Deutsche Telekom und Continental haben zudem diesen Monat angekündigt, Internet und Apps auch in Klein- und Mittelklassewagen zu bringen. «Der Unterschied zu diesen bestehenden Diensten ist aber die grössere Bandbreite von LTE Connected Car», so Weidmann. Wenn der Vater auf der Swisscom-TV-Fernbedienung etwa die Pause-Taste drücke, könnten die Kinder später im Auto die Sendung fertig schauen. «Für solche Dienste sind Zielgruppen bereit zu zahlen», weiss Weidmann. Gemäss Studien sind vor allem die 35- bis 50-Jährigen dafür offen.

Wer befürchtet, der Fahrer könnte durch so viel Unterhaltung abgelenkt werden, erfährt, dass das System Videos auf dem Fahrermonitor blockiert, sobald sich der Wagen in Bewegung setzt. Und wie bei anderen Technologien sei es wichtig, dass sie adäquat eingesetzt würden. «Um den Fahrer nicht abzulenken, sollten die Kinder vielleicht Kopfhörer benutzen», rät Weidmann.

Da der LTE Connected Car aber mit anderen Autos vernetzt sein wird, dient er auch als Sensor. Er meldet dann etwa in die «Wolke»: Achtung, auf dieser Brücke hat es Glatteis! «Das wiederum verbessert die Verkehrssicherheit für alle». Nichtsdestotrotz darf man mit gesetzlichen Anpassungen rechnen, sobald solche Multimedia-Stuben durch die Strassen kutschieren.

Im Fond geht die Party ab: Der neue Standard LTE macht Filme-Streamen und Online-Games im Auto möglichfoto: Getty Images

Swisscom testet LTE im April in der Schweiz

Long Term Evolution oder LTE wird als Nachfolger des bestehenden Mobilfunkstandards UMTS/HSPA+ gehandelt. Mit LTE sollen Downloadraten von bis zu 300 Mbit/s möglich sein, beim Datenversand sind es 75 Mbit/s. Swisscom hat diese Woche angekündigt, im April erste Tests durchzuführen. Eingeführt werde LTE frühestens ab 2011, zunächst mit Datenraten von bis 150 Mbit/s. Für Orange ist LTE ebenfalls «ab 2011 denkbar». Die entsprechenden Frequenzen werden laut Bakom im ersten Halbjahr 2011 versteigert. Bisher wurden LTE-Netzwerke 2009 in Stockholm und Oslo in Betrieb genommen. In den USA will Verizon heuer starten.