Designer zum Nulltarif

Beim «Crowdsourcing» mischen Konsumenten online und gratis an der Entwicklung von Produkten mit

Von Simone Luchetta (Text) und Sabrina Tibourtine (Illus)

Früher haben Firmen outgesourct und Arbeiten nach Indien ausgelagert, heute bilden Leute wie Sie und ich den Pool billiger Arbeitskräfte: Sie generieren in ihrer Freizeit Ideen, lösen Probleme und sind an Forschungsprojekten beteiligt – und das gratis.

Was unglaublich klingt, ist so überraschend nicht. Im Web 2.0 konsumieren Nutzer nicht nur, sondern werden zu Produzenten, die freiwillig Inhalte liefern; bekanntes Beispiel ist Wikipedia. Das neue Schlagwort heisst Social Media, die grossen Trends sind Mitmachen und Teilen.

In den USA nutzen Firmen diesen Drang zum Mitmischen schon lange für ihre Interessen. Konsumenten sollen online mitdenken, mitentwerfen, mitbestimmen – und dann natürlich kaufen. «Crowdsourcing» nennt sich die Strategie, ein Begriff, den der «Wired»-Journalist Jeff Howe 2006 aus «Crowd» (Menschenmenge) und «Outsourcing» (Auslagerung) zusammensetzte.

Beispiele gibt es viele: Der Autohersteller Fiat forderte Kunden auf, Design-Ideen für ein neues Modell zu liefern, Starbucks suchte online ein neues Logo, und jüngst beteiligten sich über eine Million Menschen an der Aktion von McDonalds Deutschland, einen Burger zu kreieren, der deutschlandweit verkauft wurde. Noch weiter gehen Stylefactory oder Quirky: Sie sammeln Produktideen von Designern, die Community bewertet sie, und wenn genügend Personen versprechen, ein Objekt zu kaufen, wird es produziert.

Bekannteste Crowdsourcerin hierzulande ist die Migros. Auf Migipedia.ch lässt sie ihre Kunden Produkte kritisieren und lanciert Abstimmungen; schliesslich bringt sie die Wunschkonfitüre der Community in die Regale. Beraten lässt sich die Detailhändlerin von Atizo. Das Berner Start-up hilft seinen 80 Firmenkunden, darunter SBB oder Mammut, eine Frage für ein neues Produkt oder eine Dienstleistung zu formulieren. Dann lässt es die 10 000-köpfige Community nach Lösungen hirnen. Mitmachen können auf Atizo.com alle.

Die Gewinner erhalten einen bescheidenen Betrag – bei Atizo teilen sie sich zwischen 1000 und 5000 Franken, was Crowdsourcing schon den Vorwurf der Ausbeutung einbrachte. «Davon kann keine Rede sein. Alle Beteiligten wissen von Anfang an, worauf sie sich einlassen», sagt Atizo-Chef Christian Hirsig. Wegen des Geldes machen die Leute auch nicht primär mit: «Viel mehr locken die soziale Anerkennung und der Wettbewerb. Zudem leben manche Ideenlieferanten ihre kreative Ader bei uns aus.»

Die Vorteile für die Firmen liegen auf der Hand: Das Anzapfen der Massen bringt oft bessere Resultate, ist schnell und billig. Die Akzeptanz der Kundschaft wird schon während der Entwicklung eines Produktes vorangetrieben – man hat ja selbst mitgearbeitet. Und ganz nebenbei gewähren die Kommentare einen Einblick in die Kundenseele. Eine Win-win-Situation, die alle glücklich macht.

 

KASTEN:

Die besten Kreativen in der SonntagsZeitung

Heute mit Werber Alexander Jaggy, Jung von Matt

Jeweils monatlich übernimmt ein etablierter Kreativer die Konzeption eines Teils des Trendbundes.Diesen Artikel zum Thema «Crowdsourcing» – die Kraft der Internet-User, die von immer mehr Firmen genutzt wird – konzipierte Alexander Jaggy, 41. Der preisgekrönte Werber und Teilhaber der Agentur Jung von Matt hat das Thema selber vorgeschlagen, Multimedia-Redaktorin Simone Luchetta schrieb den Text dazu. Jaggy hat repräsentative Beispiele von Crowdsourcing für die Illustration ausgewählt. Bisherige extern gestaltete Trendbund-Ausgaben: www.sonntagszeitung.ch/trend/kreative/