Der Hacker

Foto: Basil Stücheli

Bernd Fix entwickelte die erste Antivirus-Software - und überweist den Lohn von Julian Assange

Bernd Fix fährt nach den Weihnachtsferien an seinem Arbeitsplatz in der Firma Six Telekurs in Zürich seinen Rechner hoch. Plötzlich steht ein Vorgesetzter vor ihm und bittet ihn um ein Gespräch. Als sich Fix im Büro von CEO Thomas Gross wiederfindet, schwant ihm Böses: «Mir war jetzt sofort klar, dass das der Rausschmiss ist», erzählt er später. Gekündigt wurde ihm, weil er für Wikileaks Geld sammelt.

Die Enthüllungs-Plattform Wikileaks steht massiv unter Druck. Regierungen wollen sie aus dem Internet verbannen, Finanzinstitute stoppen die Zusammenarbeit. Um zu verstehen, warum sich Julian Assange und Mitstreiter wie Bernd Fix mit den Mächtigen anlegen, muss man das zugrunde liegende ideologische Gerüst kennen: die Hacker-Ethik.

 Das unbekannte, aber vielleicht wichtigste Regelwerk des 21. Jahrhunderts hielt der Amerikaner Steven Levy erstmals 1984 fest. Der Journalist beschreibt in seinem Buch «Hackers», wie sich das Hacker-Ethos seit den 50er-Jahren in den Labors US-amerikanischer Universitäten entwickelte. Weiter schildert er, wie sich die Technikfanatiker am Massachusetts Institute of Technology (MIT) Zugang zu den ersten Grossrechnern erschlichen und den spielerischen Umgang mit der Technik zum Prinzip erklärten.

«Da war für mich klar: Der Computer ist mein Ding»

Aus den vielen Gesprächen, die er mit den Hackern der ersten und zweiten Stunde geführt hatte, destillierte Levy sieben Regeln heraus, die er als Grundwerte der Hacker-Szene ansah, und nannte sie Hacker-Ethik: Nebst der Regel «Zugang zu Computern - und zu allem, was einem zeigen kann, wie diese Welt funktioniert - muss unbegrenzt und vollständig sein» ist fürs Verständnis des Phänomens Wikileaks besonders die zweite Regel interessant: «Alle Informationen müssen frei sein».

Diese Haltung hat die vergangenen drei Jahrzehnte wesentlich geprägt. So ist das Ideal des freien Zugangs zu Wissen eine wesentliche Triebkraft hinter Wikipedia; auch Tauschbörsen wie Napster, freie Software wie Linux oder Firefox sind Kinder der Hacker-Ethik. Oder eben Wikileaks.

Dass auch er sich einst einer Hacker-Ethik verpflichtet fühlen würde, ahnte der kleine Bernd damals nicht, als er sich in den 70er-Jahren stundenlang mit dem Schachprogramm auf dem Computer seines Lehrers beschäftigte. «Ich war hin und weg», erzählt er, «ich wollte unbedingt herausfinden, wie das Ding funktioniert.» Aus Büchern brachte er sich so viel bei, bis er es durchschaut hatte. Als die Schule Computer anschaffte, gelang es ihm, das alte Programm auf den neuen Rechnern zum Laufen zu bringen. «Da war für mich klar: Der Computer ist mein Ding».

Nachts spielte er mit den universitären Grossrechnern

Wir sitzen in einem Café in Zürich, Fix erzählt flott und flüssig. Der 49-jährige deutsche «Hacker und Computer-Sicherheitsexperte» (Wikipedia), der seit 12 Jahren in der Schweiz lebt, trägt Jeans, einen Kapuzenpullover mit aufgedruckten RAF-Stern - eine Tastatur ersetzt die Maschinenpistole. Die langen Haare stecken unter einer Ballonmütze. Fix arbeitet als selbstständiger Computerfachmann, 3 Monate im Jahr. Ansonsten «steht er auf, trinkt drei Liter Kaffee, hockt sich vor den Rechner und geht ins Bett, wenn er müde ist».

Studiert hat er Physik und Philosophie, sich aber als Erstes im Rechenzentrum der Uni Göttingen eingenistet: «Tagsüber geschlafen und nachts, wenn die Grossrechner frei waren, rumgespielt bis zum Abwinken.» Die vernetzten Rechner waren ein Spielplatz, auf dem es unendlich viel zu entdecken gab. Durch den Btx-Hack hörte er dann zum ersten Mal vom Chaos Computer Club (CCC).

Die Hackergemeinschaft CCC wurde 1981 in Berlin von Wau Holland und einer Handvoll Computerfreaks gegründet. 1984 hackte sich der CCC in das Bildschirmtext-System der Deutschen Post ein und konnte die Hamburger Sparkasse um 135 000 Mark erleichtern. Das Geld wurde sofort zurückbezahlt - dem CCC ging es lediglich darum, die Lücke in dem als sicher gepriesenen System aufzudecken. Fix: «Das hat mir tierisch gut gefallen.»

Kurzerhand machte er sich auf nach Hamburg: «Ich kam in die Wohnung von Wau Holland und dachte: Wow, da kann noch einer unaufgeräumter als ich leben.» Man verstand sich auf Anhieb, fortan regierte das Chaos. 1986 hielt Fix den ersten öffentlichen Vortrag über Viren und schuf die erste Anti-Virus-Software weltweit. Er züchtete Viren, die auf IBM-Grossrechnern lauffähig waren, nur um IBM zu beweisen, dass das möglich war.

Dann wurde aus dem Spass Ernst. Beim KGB-Hack verkaufte eine kleine Gruppe von CCC-Leuten zwischen 1985 und 1989 Daten aus westlichen Computern an den KGB. Der Club geriet in eine tiefe Krise, jeder misstraute jedem. Holland und die andern «Hacktivisten» zogen sich zurück.

Mittwochabend im Januar, Chaos-Treff in Zürich. Gegen 20 Männer sitzen zwischen Schachteln, Kabeln und ausrangierten Rechnern. Es sind Studenten, Mechaniker, Sicherheitsexperten, Programmierer, Elektrotechniker. Dabei auch Bernd Fix. «Der Zweck des CCC ist, Technologien zu untersuchen und auf Gefahren hinzuweisen, auch in gesellschaftlicher Hinsicht», sagt Vorstandsmitglied Hernani. Auf Sicherheitslöcher weist man hin, nutzt sie aber nicht, um sich zu bereichern. Und ein «Hack» ist eine besonders kreative Lösung für ein Problem: «Wenn man etwa eine WC-Rolle, ein Stück Klebeband und eine Schere nimmt und damit Schlösser öffnet.»

Der CCC und die Hacker-Ethik haben überlebt. Der Club ist stark gewachsen, was den Konsens laut Fix weicher mache: «Heute ist es chic und ungefährlich, ein Hacker zu sein; wir standen früher prinzipiell unter Generalverdacht.» In Deutschland sind die CCC-Hacker gefragte Sachverständige für Datenschutz und Informationsfreiheit in Bundestagsausschüssen.

Ob Wikileaks überlebt, ist nicht wichtig - die Idee aber bleibt 

Für Informationsfreiheit setzt sich auch die Wau-Holland-Stiftung ein (siehe Kasten Seite 61), die seit Oktober 2009 Spenden für Wikileaks sammelt und Fix schliesslich den Job kostete. «Bisher haben wir rund eine Million Euro eingenommen», sagt Stiftungsvorstand Fix. Mit der Veröffentlichung der US-Depeschen seien sehr viele Spenden eingegangen. Die grösste Einzelspende betrug 50 000 US-Dollar.

Die Wikileaks-Leute bekommen Beträge gegen Rechnung ausbezahlt. Bisher total rund 400 000 Euro. Darunter fallen neu auch Gehälter von sechs Wikileaks-Leuten; Assange ist einer davon. «Er hat 5500 Euro pro Monat bekommen.» Dazu kommen Kosten für die Serverfarmen und Spezialausgaben; 70 000 Euro erhielten die 20 Redaktoren in London, die Unterlagen für die Zeitungsredaktionen bearbeiten. Die Stiftung finanziert auch Anwaltskosten, aber nicht die juristische Verteidigung von Assange privat.

Derzeit tröpfeln die Spenden nur langsam rein. Ob das die Unzufriedenheit mit Assange ausdrückt oder die abgeschnittenen Geldkanäle der Grund sind, wird sich bei der nächsten Aktion zeigen. Ob Wikileaks überlebt, ist für Fix nicht wichtig. Entscheidend sei die Idee: «Wenn sie Wurzeln schlägt und es mehr so Plattformen geben wird, hat es sich gelohnt.»

Genau das versuchen Regierungen, vorab die USA, mit allen Mitteln zu verhindern. Unterstützung finden sie bei Finanzinstituten wie der Six Telekurs. «Der CEO fürchtete um das Renommee der Firma, wenn bekannt würde, wen sie beschäftigen», sagt Fix. Six Telekurs wollte «aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskunft geben».

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«Zivilcourage mit elektronischen Medien»

Die Wau-Holland-Stiftung ist eine gemeinnützige Einrichtung mit Sitz in Berlin. Sie wurde 2003 von der Familie und fünf Freunden, darunter Bernd Fix, gegründet, um den Nachlass des 2001 verstorbenen CCC-Gründers Herwart «Wau» Holland-Moritz zu verwalten. Sie fördert «weltweite Kommunikation, Informationsfreiheit und Zivilcourage mit elektronischen Medien» und nimmt auch Spenden für die Unterstützung von Wikileaks an. Im Dezember sperrte der Online-Bezahldienst Paypal das Konto. Weiterhin kann über die Commerzbank eingezahlt werden.

www.wauland.de

 

Erschienen in der SonntagsZeitung am 23.01.2011 Seite 63Seite 64 (PDF)