"Julian wollte das Collateral Murder Video für eine Million verkaufen"

Foto: Phlipp Rohner

Ein Gespräch mit Daniel Domscheit-Berg.

Im Rahmen der Trendkonferenz am GDI vom 16. März 2011 konnte ich mit Daniel Domscheit-Berg,33, eine Gespräch führen. Der ehemalige Sprecher von Wikileaks (WL) hat einiges über seine neue Plattform Openleaks verraten. Leider hatte in der SonntagsZeitung vom 20. März nicht das ganze Interview Platz, deshalb trage ich hier noch ein paar Fragen und Antworten nach:


Was wird das neue Projekt Openleaks kosten?

Für die 100 Partner dürften operative Kosten von 250›000 Euro im Jahr anfallen. Wir möchten das System kostenfrei zu Verfügung stellen, jeder Partner soll uns im Gegenzug ein paar Server bereit stellen, was für uns die operativen Kosten um schätzungsweise 150000 Euro senken würde. So bleiben 100›000 Euro übrig, die wir mit Spenden decken können. Die eine Hälfte werden Medien sein, die andere NGOs. Wir werden 50 Prozent selbst auswählen und 50 Prozent über die Öffentlichkeit bestimmen lassen; die Leute sollen den Organisationen ja vertrauen.

Bei OL sind sie die einzige Person, deren Gesicht und Name man kennt.
Nein. Herbert Snorrasson zum Beispiel, der auch bei WK war, ist auch öffentlich für OL in missionarischer Tätigkeit unterwegs. Der nimmt auch viele Interviews und Termine wahr.

Das sind zwei. Wer noch?
Der dritte kommt demnächst. Wir sind zu 12, im Moment. Fünf oder sechs, die aus WL kommen, die andern aus dem Umfeld.

Beim Erfolg in Island heisst es: «Es war verrückt, wir waren Stars. Das war mir so angenehm, dass ich mich fast schämte.» Geniessen Sie die Aufmerksamkeit, die Ihnen jetzt zuteil wird?
Es ist zweifelsohne toll, auf einer Konferenz von was zu reden, wofür man brennt und zu merken, dass man andere Leute damit angefackelt hat. Andrerseits sitzt mein Sohn zuhause und ich würde gern eine ganze Menge Sachen mit ihm machen. In den letzten Wochen war der Rummel  sogar schon unangenehm.

Sie könnten gut ohne diese Aufmerksamkeit leben?
Ja, inden letzten Wochen war das schon eher unangenehm. Ich hätte lieber die nächsten 2 Monate mal komplett meine Ruhe, als da jetzt so weiter zu machen.

Sie beschreiben den Truimph ber die Bank Julius Bär, es sei, als hätten Sie "Bären erlegt". Das hat doch schon auch einen Anflug von Grössenwahn, wie er laut Ihrer Beschreibung  für Assange typisch ist?
Das stimmt. Aber auch das ist etwas, wo ich heute ganz anders dazu stehe. Vor 1,5 Jahren habe ich mich immer grefreut, wenn irgendwo was zu WL stand, heute verfolge ich überhaupt nichts mehr, was zu meiner Person auftaucht, Das fällt mir alles extrem schwer, einfach weil ich totale Angst davor hätte, dass mir das irgendwie irgendwann gefällt. Im Moment ist es eher so, dass es mich total abstösst. Die Vorstellung, mich zu betrachten und dann  zu denken „das hast aber gut gemacht“ ist eine ganz komische Vorstellung. Das hat damit zu tun, dass ich gesehen hab, wie das gnadenlos nach hinten los gegangen ist.

WL hat schon einiges an Transparenz geschafft; wir wissen jetzt, dass US-Soldaten auf Irak-Zivilisten geschossen haben, kennen US-Depeschen, aber die welt hat sich nicht verändert. Stattdessen spricht man über Julian Assange und die Anzeigen wegen Vergewaltigung.

Ja, das ist frustrierend. Aber das ist eine Lektion, die gelernt werden muss. Das heisst nicht, dass die Themen nicht wichtig waren. Sondern Das Problem ist, dass WL selbst viel zu sehr darauf abzielt, diese Sachen im öffentlichen Diskurs zu halten...

WL selbst?

Ja, das ist ja die strategische Ausrichtung, die Julian sich überlegt hat. Er möchte das ganze zu eine Popkultur-Phänomen machen und mit ihm als Popstar oder als Leadsänger, und das die eine treibende Kraft. Die andere treibende Kraft ist, dass die Menschen ja überhaupt nicht wissen, wie sie die Informationen verarbeiten sollen. Das ist ein pragmatisches Problem. Das heisst, wir haben viele interessante Informationen, aber die ersten 2,5 Jahre haben wir die einfach publiziert, die sind in einem Riesen-Wust, in einem Sammelsurium da gelandet, wo die meisten Journalisten, mit denen wir Kontakt hatten, sich auch beschwert haben, dass sie überhaupt nichts finden. Und zum andern hat sich die Publikationspolitik von WL in den letzten 6 Monaten auch stark verändert, weil man nur noch sehr zögerlich veröffentlicht. Diese Depeschen, die werden halt ausgemelkt bis zum Gehtnichtmehr. Es gibt ganz komische Partnerschaften mit ein paar wenigen selektierten Medien; es gibt einen 2. Strang von Medien, die versuchen, über eine alternative Route das zu publizieren, und am Ende sind alle einfach mit der Situation in so einer Ineffizienz gefangen.

Werden Sie für die Finanzierung von OL mit der Wau-Holland-Stiftung zusammenarbeiten, die bereits für WL Spenden sammelt?
Nein. Uns schwebt was anderes vor. Es gibt zu viele offene Fragen zur Transparenz, die schwierig zu klären sind, wenn man sie dem Zufall überlässt. Ich glaube das es wichtig ist, dass wir als Gesellschaft eine Institution haben, die sich dieser Fragen annimmt. Die vielleicht auch Geld bereit stellen, die Whistleblower, die vor Gericht kommen, weil es keinen rechtlichen Schutz für sie gibt, unterstützen. Die als Art Think Tank rund um das Thema Transparenz und Whistleblowing für die Gesellschaft agieren könnte. Es gibt nun von uns und anderen eine Bestrebung, dafür in Deutschland eine Stiftung zu gründen. Eine solche Stiftung könnte vielleicht auch helfen, unser Projekt zu finanzieren. Für unser Projekt gibt es auch sinnvollere Organisationsformen als eine Stiftung, vielleicht so was wie eine gemeinnützige GmbH. Das mnuss man noch klären.

Worauf führen Sie den Erfolg ihres Buches in Korea das zurück?
Korea ist so was wie die Buchlesernation. Da können Sie selbst mit einem Gedichtsband steinreich werden.

Ihre Vorstellungen, was die Organisation von OL anbelangt, dünken mich sehr idealistisch. Werden bei OL Entscheidungen wirklich mit Schere-Stein-Papier gefällt, wie sie das im Buch antönen?
Es wird nichts mit Schere-Stein-Papier entschieden. Der Punkt ist, dass wir festgestellt haben – und das halte ich nicht für idealistisch - dass es nicht gut ist, einem allein die Entscheidungsgewalt zu überlassen. Und wir haben damals gesagt, bevor wir wieder einem allein die Entscheidungsgewalt überlassen, spielen wir lieber Schnickschnackschnuck. Das heisst nicht, dass wir SSS spielen werden, sondern wir haben schon einige Entscheidungen treffen müssen, die wir bis zum Schluss besprochen haben. Im Moment funktioniert das noch, OL im Sinne einer konsensorientierten Geschichte aufzuziehen

Wie konnten Sie so lange bei WL bleiben, wenn es doch so schief lief?
Ich war so lange überzeugt, wie ich den Eindruck hatte, dass wir alle an einem Strang ziehen. Solange ich das Gefühl hatte, dass wir uns auf unser Ziel weiter zu bewegen, war das für mich vertretbar. Es wurde dann nicht mehr vertretbar, als ich das Gefühl hatte, wir kommen vom Kurs ab, anfangs 2010.

Woran haben Sie gemerkt, dass Sie vom Kurs abkommen?
So habe ich etwa vor 3 Wochen erfahren, dass Julian geplant hatte, das Collateral Murder Video für 1 Million Dollar exklusiv zu verkaufen. Einige, denen er das erzählt hatte, konnen ihn davon abbringen. So ist diese Diskussion komplett an mit vorüber gegangen, weil das Thema vom Tisch war, bevor irgend jemand mit mir darüber geredet hat. Das sind so klassische Anzeichen dafür, dass bei der Idee zu diesem Zeitpunkt etwa was  schief gelaufen ist. Dann hat es etwa einhalbes jahr gedauert, bis wir es geschafft haben loszulassen.

Haben Sie die manchmal ein schlechtes Gewissen?
Da ist die Frage, ob das zu lange war, die ich mir heute noch stelle. Weil in diesen Monaten etwas aufgebaut wurde, was fast nicht mehr anzugreifen ist in der Öffentlichkeit; wo fundiert Kritik auf der Ebene der Masse nicht mehr aufgenommen werden kann; wo So ein total verklärtes Bild vorherrscht. Da frag ich jetzt, ob ich beteiligt war und das zu lange habe laufen lassen. Und heute etwas entstanden ist, was ich so nicht gutheissen konnte.

PDF1 PDF2 des Interviews, erschienen in der SonntagsZeitung vom 20. März 2011.